Augen, Angst und Psyche

Silvia Aachen, Samstag, 04. Mai 2019, 09:07 (vor 1791 Tagen)

Liebe Leidensgenossen,
Wie habt ihr gelernt die Angst vor noch mehr Sehverlust in den Griff zu bekommen? Ich habe schon einiges unternommen und bin am Ball, jedoch beherrscht mich die Angst und Sorge. Mein Leben ist seid meiner CNV aus den Fugen geraten obwohl meine "Randbedingungen", meine Familie etc.sehr gut sind. Mit meiner Sehkraft auf meinem linken Auge geht es ständig auf und ab die Injektionen verschaffen mir bisher keine ruhigeren Befund, möglicherweise liegt mein Leidensdruck daran.
Hier im Forum gibt es genügend Mitglieder die weniger sehen als ich,obwohl mein Sehen sich sehr sehr stark verändert hat. Ich war immer ein positiver, lebensfroher Mensch, mir ist das alles abhanden gekommen.
Habt ihr "Anleitungen" ausgenommen Therapie und Medikamente, das mache ich alles schon.
Wie kann man ein Leben mit so schlechtem Sehen akzeptieren und genießen lernen?
Bin für alles offen,lieben Dank!

Augen, Angst und Psyche

Michael_03 @, BaWü, Samstag, 04. Mai 2019, 10:40 (vor 1791 Tagen) @ Silvia Aachen

Hallo Silvia

es tut immer wieder gut zu wissen, dass ich mit meinen Sorgen nicht alleine bin.

Mir geht es wie Dir.

Aus meiner Sicht, hast Du ja selbst schon die Lösung beschrieben: das Leben so akzeptieren wie es ist.
Rückgängig machen können wir's leider nicht.
Und verdrängen gelingt mir nicht.

In meinem Beitrag zum Thema Sport habe ich es selbst für mich so beschrieben:

Die NHA hat mein Leben verändert.
Und mich auch.
Es ist vieles nicht mehr, wie es vorher war.
Nicht schlechter, nicht besser - aber anders.

Das Leben ist kein Problem, das es zu lösen, sondern eine Wirklichkeit, die es zu erfahren gilt.

Da müssen wir wohl durch.

Wenn es mir dreckig geht, denke ich an den Spruch.
Manchmal hilft's, manchmal nicht.

Ich habe auch eine Liste, wo ich reinschreibe was GUT ist: was ist gut: ich habe ein Dach überm Kopf, ich habe zu essen, meine Frau unterstützt mich, ...
Man darf sich auch über Kleinigkeiten freuen.
Ich gebe zu, diese Kleinigkeiten waren früher eher selbstverständlich für mich.
So gesehen entwickle ich eine andere Sichtweise auf das Leben.
Und meine alten Ansprüche an das Leben tausche ich gegen neue aus.

Ich tausche mich auch mit Forummitgliedern aus. Auch so kommt eine andere Sichtweise rein. Das hilft mir.

Ich versuche aktuell denjenigen Menschen aus dem Weg zugehen, die sagen: na jetzt hast Du ja wieder 'ne Brille auf. Ist doch alles in Ordnung.
Ist es eben nicht, aber das sieht man uns nicht an.
Und von so blöden Sprüchen will ich mich nicht runterziehen lassen.
Vielleicht kann ich ja mal in Zukunft passend zurückkontern. :-P

Als Vorbild dient mir auch KAtharina. Sie hat ja für uns hier was auf die Beine gestellt und hilft uns dadurch. Trotz und gerade wegen ihrer eigenen Betroffenheit. Ist so das Thema: das Beste daraus machen.

Ansonsten versuche ich es mit Atemtechnik: ich atme die Vergangenheit aus, atme tief die Gegenwart ein, um genügend Kraft für die Zukunft zu haben.

Ferner versuche ich Stress aus dem Weg zu gehen, um meine Kraft nicht unnütz zu vergeuden.

Und Galgenhumor darf nicht fehlen :-D .

Katzen streicheln nimmt bei mir auch die Anspannung weg.

Ich versuche es eben, manchmal hilft's ;-) , manchmal nicht :-( .


LG

Michael

--
Es hilft, mit anderen Betroffenen zu reden.
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Augen, Angst und Psyche

Blickpunkt68 @, Bayern, Samstag, 04. Mai 2019, 11:14 (vor 1791 Tagen) @ Silvia Aachen

Hallo Silvia,

das ist eine sehr gute Frage. Bin auch die Antworten gespannt.
Auch ich kämpfe seit 10/2017 noch mit den Folgen meiner Netzhautablösung und meinen Visus(rechts ca.10 %).
Ich hatte das Glück gleich einen Termin beim Psychologen zu bekommen. Dort bin ich immer noch in Behandlung. Ich war auch letztes Jahr in einer psychosomatischen Reha. Die Wochen dort haben mir sehr gut getan, sowohl zur Erholung des Körpers als auch für meine Psyche. Es gibt aber immer wieder Rückschläge, die Abstände werden länger.

Es ist ein Glück, dass man uns Netzis nichts ansieht, aber es gleichzeitig auch ein Problem. Bei einem Beinbruch sieht man die Folgen und es ist für alle nachvollziehbar, wenn das Bein nicht mehr richtig funktionert. Bei uns aber nicht! Ich möchte nicht mehr erklären, warum ich manche Sachen nicht mehr mache, warum so vieles so anstrengend ist. Ich rechtfertige mich schon nicht mehr so oft wie früher. Es ist so! Ich habe schon viel verändern (müssen) und das akzeptieren fällt auch mir schwer.

Wenn es ein Patentrezept gäbe, würde ich es sofort anwenden.
Mein Psychologe sagt immer, "sie haben schon viel erreicht und verändert, das soll ich sehen". Ich habe das Tal der Tränen (Aussage bei der Reha) hoffentlich schon überwunden und bin bald bereit, alles zu akzeptieren. Aber alles braucht seine Zeit. Und die Zeit darf man sich auch geben.

Mein gesundes Auge hat -6,5 Diop. und mittlerweile auch eine Glaskörperablösung. Hier hilft mir nur hoffen, verdrängen und hoffen und vertrauen. Und trotzdem ist die Angst ein ständiger Begleiter, der mich vielleicht auch beschützt aber auch ausbremst.

Für uns alle wünsche ich ,dass sich nichts verschlechtert und wir auch das Gute und Positive sehen.
;-)

Augen, Angst und Psyche

Blindfisch_01, Samstag, 04. Mai 2019, 12:54 (vor 1791 Tagen) @ Silvia Aachen
bearbeitet von Blindfisch_01, Samstag, 04. Mai 2019, 12:57

Ja, ich weiß wie es dir psychisch geht. Ich habe von 2009-2012 gebraucht, um den Großteil der Angst zu überwinden.

Mir hat geholfen, dass ich alle Dinge des täglichen Lebens komplett blind erledigen kann. Ich habe seit 2012 meinen Laptop-Bildschirm ausgeschaltet und arbeite nur noch mit blindenspezifischen Hilfsmitteln wie Braillezeile oder Sprachausgabe.

Ich denke, dass die Angst nämlich nicht die Angst vorm Erblinden ist, sondern vielmehr die Angst, wie man dann alle alltäglichen Dinge erledigen kann.

Seitdem ich eh alles vollblind erledigen kann, ist die Angst weg, weil ich weiß, dass ich auch so ein normales Leben führen kann.

In Deutschland kann man froh sein, dass es für alles Hilfen und Hilfsmittel gibt. In anderen Ländern wäre man blind gleich gesellschaftlich unten durch.

Mein Spruch lautet übrigens:
Aber selbst wenn ich mein Augenlicht verliere, so richtig Angst habe ich nicht, denn ich kann immer noch denken, ich kann immer noch hören, ich kann sprechen und ich kann laufen. Und solange meine Beine mich tragen, laufe ich erst mal weiter. Und das am liebsten vorwärts durchs Leben!

--
Mein Erfahrungsbericht
http://www.forum.netzhaut-selbsthilfe.de/index.php?id=42210

Von 20% auf 2% Restsehvermögen gesunken (gesetzlich blind)
LA: Amaurose, RA: Optikusatrophie
Retinopathia Praematurorum bds.

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