Re: Vorbereiten oder den Augenblick leben ....

Angelika (Bayern), Donnerstag, 18. Januar 2007, 11:42 (vor 6314 Tagen) @ C.S.


Als Antwort auf: Vorbereiten oder den Augenblick leben .... von C.S. am 18. Januar 2007 10:40:23:


Hallo C.S.,
das ist eine sehr individuelle Sache. Der eine bereitet sich vor, der nächste ignoriert, der dritte genießt und versucht, so viel wie möglich aufzunehmen. Es gibt sicherlich noch viele andere Möglichkeiten, mit der Situation umzugehen.
Welcher Weg letztendlich der bessere oder sogar beste ist, muß jeder für sich entscheiden. Bei mir ist die Sehbehinderung erstmalig klar zu Tage getreten, als ich die erste Lehrstelle deswegen aufgeben mußte (ich bin seit Geburt einäugig). Dann war lange Zeit Ruhe und ich habe ein ganz normales Leben gelebt, bin Auto gefahren und habe gearbeitet, als wäre nix. Mein Führerschein war zwar eingeschränkt, aber das hat mein Leben an sich wenig beeinträchtigt. Probleme traten erst auf, als sich meine Sehfähigkeit auf dem "gesunden" Auge verschlechterte - und das war ein extremes Wechselbad der Gefühle. Ignorieren war da nicht mehr drin. Ich bin meinen Weg voran gegangen und habe mich auf das letzte extrem eingestellt - da bin ich heute noch bei :-)
Je nach Sehkraft und Umgebung benötige ich andere Hilfsmittel oder muß die vorhandenen anders einsetzen. Diese Einstellung ist ein laufender Prozess, der auch andauern wird, wenn ich völlig erblindet sein sollte. Über die Selbsthilfe kann ich "nur" versuchen, anderen in ähnlicher Situation zu zeigen, daß es weitergeht - und zwar nicht schlechter oder besser, sondern eben anders. Und das meine ich ernst. Das Leben mit sämtlichen Arten von Sehbehinderung ist nicht schlechter als das Leben mit voller Sehkraft - es ist nur anders. Außerdem ist es eine Frage des Maßstabes. Auch ein völlig Gesunder kann sich verrückt machen, weil er nicht so viel Geld hat, wie sein Nachbar (und darum z.B. nicht in die Karibik fliegen kann). Als Sehbehinderter könnte ich mich verrückt machen, weil ich aufs Auto verzichten muß.....(hey, können sich nicht viele Leute ein Auto mit Chauffeur leisten *grins) - es gibt also immer zwei Seiten der Medaille, und die sollten wir uns bewußt machen. Nicht das, was wir verlieren, zählt, sondern das, was wir gewinnen. Es gäbe z. B. nicht so viele Hörbücher, wären nicht Sehbehinderte dahinter her, wie der Teufel.....
Sehende haben irgendwann gemerkt, daß sich diese Dinger auch ganz gut für´s Auto eignen. Dadurch stieg die Nachfrage und jetzt profitieren beide Seiten.
Viel Vergnügen beim Nach-Denken (das ja eigentlich Vor-Denken heißen müßte)
Angelika

www.sehbehinderung-bayern.de



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